Natürliche Bildungsprozesse von biobasierten Materialien
Die Abteilung Biobasierte Materialien erforscht natürliche Syntheseprozesse, die zu komplex strukturierten biologischen Kompositmaterialien führen. Materialstrukturen bleiben oft über Jahrmillionen hinweg stabil, doch ist deren Bildungsprozess geprägt von dynamischen Interaktionen zwischen Zellen und Molekülen mit dem gebildeten Material, sowie den verschiedenartigen Material-Vorstufen [Weiss et al., 2002; Weiss 2010; Weiss 2011; Weiss 2012].
Meine Arbeitsgruppe nutzt sowohl materialwissenschaftliche als auch gentechnische und biotechnologische Methoden, um den molekularen Schlüsselfaktoren experimentell auf die Spur zu kommen, die in einem über viele Millionen Jahre evolutiv optimierten Regulationsnetzwerk dafür sorgen, dass sich Biopolymere und ggf. anorganische Füllstoffe zu einem funktionellen Skelett oder einer sonstigen artspezifischen Hartstruktur zusammenfügen.
Grundsätzlich sind wir dabei nicht auf bestimmte Organismen oder einzelne Materialien festgelegt. Als wichtige Informationsquelle werten wir bioinformatische Datenbanken aus, oder nutzen experimentell unsere Genbanken, die wir selbst aus material-sezernierenden Geweben herstellen [Weiss et al., 2006]. Als Modellsysteme nutzen wir sowohl Bakterien und Hefe als auch den berühmten Schleimpilz Dictyostelium für die Expression und Herstellung von materialverändernden Faktoren (z.B. "Biomineralisationsenzyme"). In aufgereinigter Form dienen sie als Additive, und werden in vitro auf ihre strukturgebenden Eigenschaften z.B. in Fällungsreaktionen getestet und optimiert [Weber et al., 2012; Weber et al., 2014]. Zur ”Abkürzung“ des funktionellen Screenings nutzen wir seit kurzem innovative in vivo Verfahren.
Wir haben dafür ein eigenes Vektorsystem entwickelt, das es uns erlaubt, in der extrazellulären Matrix von Dictyostelium unterschiedliche molekulare Faktoren relativ schnell und einfach in ihrem Zusammenspiel bei der Materialbiogenese zu testen [Eder et al., 2016]. Zusätzlich nutzen wir Dictyostelium, um transmembrane Chitinsynthasen, die mit molekularen Myosin-Motoren ausgestattet sind, gentechnisch maßzuschneidern und somit in ihrer Funktionsweise aufzuklären [Schönitzer et al., 2011]. Diese sehr speziellen Motoren spielen in der Produktion von Perlmutt und anderen biogenen Komposit-Materialien eine wichtige Rolle, weil sie dafür sorgen, dass die mechanisch wichtigen organischen Fasern eine vorteilhafte räumliche Orientierung einnehmen, und somit die Materialeffizienz durch Strukturierung optimiert werden kann [Weiss 2012]. Uns interessieren pH-abhängige molekulare Erkennungs- und Steuerungsmechanismen [Weiss et al., 2013; Ghatak et al., 2013; Pohl & Weiss 2014], die sich im Grenzgebiet zwischen physiologischer Kontrolle und physikalisch-chemischer Musterbildung von der Nano- bis zur Makroskala abspielen.
Zur Untersuchung der Synthese von Chitin-basierten Kompositmaterialien nutzen wir neben gentechnisch modifizierbaren Systemen z.B. auch marine Kieselalgen, die eine besonders reine Form von Chitin enzymatisch herstellen. Der ganze Prozess ist eng an die Zellteilung gekoppelt, sowie räumlich und zeitlich hochgradig reguliert. An der Aufklärung der Rolle von Enzymen im Prozess der Strukturbildung von Biopolymeren und Biokompositen bis hin zur Formgebung, z.B. biomechanisch optimierter ”Bauteile“, sind wir generell besonders interessiert [Review, Weiss & Marin 2008].
Unser Methodenspektrum umfasst die klassischen Verfahren und Analysen der Materialwissenschaften [Schneider et al., 2012], Biochemie und Molekularbiologie [Weiss et al., 2006] ebenso wie moderne biophysikalische Ansätze zur Charakterisierung von Biomembranen und Biogrenzflächen [Kaufmann et al., 2007; Weiss et al., 2009]. Fluoreszenz-basierte und spektroskopische Verfahren nutzen wir zur Analyse der Materialien ebenso wie Röntgenbeugung und VP/Cryo-Elektronenmikroskopie [Eder et al., 2016; Lemloh et al., 2017]. Mechanische Testverfahren wie auch Thermische Analyse spielen eine wichtige Rolle [Weiss et al., 2011; Weiss et al., 2018]. Ein breites Erfahrungswissen über die Kultivierung von Organismen unterschiedlichster Herkunft hat bei uns einen besonderen Stellenwert, denn wir setzen unseren Schwerpunkt speziell auf natürliche Bildungsprozesse biobasierter Materialien im Kontext komplexer Umgebungsparameter [Schönitzer & Weiss, 2007].
Die Anwendungsfelder unserer stark grundlagenorientierten Projekte sind vielfältiger Natur. Sie reichen von der Medizintechnik bis hin zu Materialforschung im ökologischen Gesamtkontext, und werden in interdisziplinären und intersektorialen Kooperationen mit externen Partnern umgesetzt.
Referenzen
[1] M. Eder, M. Koch, C. Muth, A. Rutz, I.M. Weiss, J. of Struc. Biol. 196, 85-97, 2016
[2] I.M. Weiss, F. Lüke, N. Eichner, C. Guth, H. Clausen-Schaumann, J. of Struc. Biol. 7, 71, 2007
[3] V. Schönitzer and I.M. Weiss, BMC Struc. Biol. 183, 216-225, 2013
Ingrid Weiss
Prof. Dr.Abteilungsleiterin