G. B. Shaw: „Keine Liebe ist aufrichtiger als die Liebe zum Essen“
20. Juli 2023 / Wolfgang Hauber
Die zentralnervöse Regulation der Nahrungsaufnahme wird durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Schaltkreise des Gehirns gesteuert. Das sog. Belohnungssystem des Gehirns wird beispielsweise von mittels klassischer Konditionierung erlernten Umweltreizen aktiviert, welche die baldige Verfügbarkeit einer attraktiven Nahrung signalisieren. Dazu können z.B. Werbelogos bekannter Fast-Food-Ketten zählen. Unerwarteterweise scheint das Belohnungssysteme auf solche konditionierten Umweltreize auch dann zu reagieren, wenn man vollkommen satt ist. So wurde in Untersuchungen an Labornagetieren festgestellt, dass bei einer völlig satten Labormaus die Präsentation eines konditionierten, mit einer wohlschmeckenden Futterbelohnung verknüpften Tonreizes ausreicht, um die Nahrungsaufnahme wieder in Gang zu setzen. Diese Beobachtung hat zu der Annahme geführt, dass konditionierte Umweltreize, die mit attraktiven Nahrungsmitteln assoziiert sind, die Nahrungsbeschaffung und Aufnahme auch dann anregen, wenn dafür gar keine physiologische Notwendigkeit besteht, etwa bei Sättigung. Ein solcher Mechanismus könnte Überwicht und Adipositas fördern.
Unsere aktuelle Arbeit hat diese Annahme eingehend überprüft . Dazu haben wir Labornagetiere in einer komplexen Aufgabe („Klassisch-instrumentelle Transferaufgabe“) getestet. Dabei wird gemessen, wie oft diese Tiere bei Darbietung eines klassisch konditionierten, Futter-prädiktiven Tonreizes einen Hebel für Futter betätigen: je höher die Anzahl der Hebeldrücke, desto höher die Tonreiz-induzierte Motivation für die Nahrungsbeschaffung. Die Labornager wurden nach leichter Futterverknappung sowie nach völliger Sättigung untersucht. Sättigung wurde u.a. durch kurzzeitiges Futterüberangebot oder pharmakologische Blockade eines Hungerhormons induziert. Aus den Messungen geht hervor, dass nahrungsprädiktive Umweltreize bei etwas hungrigen Labortieren die Nahrungsbeschaffung stimulieren, bei satten Labornagetieren jedoch kaum wirksam sind. Welche Rolle eine Schlüsselstruktur des Belohnungssystems, der Nucleus accumbens, bei diesem Effekt spielt, konnte allerdings nicht schlüssig aufgeklärt werden.
Unsere Ergebnisse stehen also nicht in Einklang mit der Annahme, dass das Belohnungssystem bei Darbietung von konditionierten, nahrungsprädiktiven Umweltreizen eine bestehende Sättigung überspielt und Nahrungsbeschaffung quasi automatisch in Gang setzt.
Das Zusammenwirken von Schaltkreisen des Gehirns, welche erlernte Umweltreize verarbeiten, die wohlschmeckendes Essen signalisieren und jenen, die den Gang ins Restaurant triggern und die Anzahl der bestellten Gänge steuern, ist also komplexer als ursprünglich angenommen.